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„Verstecken bringt nichts“

Dieter Nottbrock, Gründer der Selbsthilfegruppe „angst-panik-depressionen“ und ehemaliger Ansprechpartner der Gruppe, veröffentlichte seine Erfahrungen in Buch und Presse.

 

Von Bernd Bexte, Gütersloh (WB, 2012)

 

„Angst, Panik, Depressionen: Selbsthilfegruppe in Gütersloh zeigt Wege aus der Krise.

Es gab Zeiten, da traute sich Dieter Nottbrock nicht vor die Haustür. »Die 50 Meter zum nächsten Supermarkt waren mir schon zu viel«, sagt der 62-Jährige. Panikattacken bestimmten sein Leben, die Angst vor dem nächsten Zusammenbruch hielt ihn gefangen. Gespräche mit Gleichgesinnten gaben ihm Halt. Eine Hilfe, die er weitergibt: Seit zehn Jahren ist der Gütersloher Sprecher der Selbsthilfegruppe »Angst-Panik-Depressionen«.

 

Angefangen hatte alles Ende der 90er Jahre bei einem Urlaub in Barcelona. »Die Hitze, die Hektik, die große Stadt, die vielen Menschen – ich spürte ein Unwohlsein, das sich zur Panik steigerte«, erinnert er sich. »Vorher kannte ich so etwas nicht.« Es begann ein schleichender Prozess, der in regelmäßigen Angststörungen gipfelte. »Ich bekam Herzrasen und Kreislaufprobleme, typische Symptome eines Herzinfarktes, ja sogar Zusammenbrüche.« Die Ursache ist ihm bis heute unbekannt. Nottbrock behielt sein Leiden zunächst auch für sich. »Ich hätte eigentlich sofort zum Arzt gehen sollen«, sagt er rückblickend.

 

Stattdessen lebte er sein »Münchhausen-Syndrom«, wie er es nennt, aus. »Wenn ich mit meiner Frau irgendwo hinfahren wollte, ist mir kurz vorher immer noch eine Ausrede eingefallen, warum das jetzt nicht geht.« Erst später vertraute sich der zweifache Vater seiner Familie an, ebenso Ärzten und Therapeuten. »Es war auch gut, dass mein Arbeitgeber Verständnis zeigte«, erzählt Nottbrock, der in der Produktion der Band- und Gurtweberei Güth & Wolf in Gütersloh arbeitet. Wenn der Leidensdruck zu groß wurde, ging er zum Arzt oder nach Hause, um mal wieder den Blutdruck zu kontrollieren.

 

Initialzündung zur Gründung der Selbsthilfegruppe war im Frühjahr 2002 ein Vortrag zum Thema Angst- und Panikstörungen. »Einige Teilnehmer haben sich im Anschluss zu regelmäßigen Gesprächen getroffen.« Seitdem kommen 12 bis 16 Betroffene jeden zweiten Dienstag in der Diakonie an der Kirchstraße in Gütersloh zusammen, um über ihre Probleme, Fortschritte und den Umgang mit ihrem Leiden zu sprechen. Der Bedarf ist groß: »Wir haben im September eine Mittwochsgruppe gegründet, weil es immer mehr Anfragen gab.«  »Insgesamt habe ich etwa 100 Betroffene im Alter von 17 bis 75 in der Kartei.« Nicht nur der Austausch über Ängste und Depressionen steht im Mittelpunkt. Gemeinsam unternehmen Mitglieder der Selbsthilfegruppe kleinere Ausflüge, grillen oder treffen sich zum Kegeln. Der Schritt nach draußen ist dabei immer eine selbstauferlegte Prüfung: Für einige sei es dann beispielsweise eine Herausforderung, bei einem Stadtbesuch alleine einen Kugelschreiber zu kaufen. »Es macht Freude zu sehen, wie die Leute dabei wieder wachsen und ein Selbstwertgefühl bekommen.« Nottbrock bezeichnet sich selbst als »zu 90 Prozent« fit. »Das ständige Üben, nach draußen unter Menschen zu gehen, und das Sprechen über die Angstzustände haben mir am meisten geholfen.« Deshalb sei der offensive Umgang mit der Belastung ganz wichtig: »Man muss sich der Familie öffnen, verstecken bringt nichts.« Allerdings: Die Selbsthilfegruppe biete eine Ergänzung zu Therapie und medizinischer Behandlung. »Sie kann das nicht ersetzen.« Aber spürbar unterstützen.“

 

Zu seinen Erfahrungen sagt Dieter Nottbrock:

„Eine Angst und Panikstörung beziehungsweise Depression ist natürlich heilbar, nur sollte man sich auch Zeit geben. Meistens ist das über Jahre gewachsen. Und bis man wieder Vertrauen in den eigenen Körper hat, dauert es auch meist sehr lange. Dazu sind die Selbstzweifel zum Beispiel sehr groß. Das Selbstvertrauen beziehungsweise das Selbstwertgefühl ist meistens im Keller, und all das muss man sich wieder erarbeiten. Man sollte sich aber darüber im Klaren sein: Egal, ob mit Klinikaufenthalt oder dergleichen, die eigentliche Basisarbeit muss man schon selber machen. Wer zum Beispiel aus der Klinik kommt, für den beginnt dann erst die eigentliche Arbeit – ihr habt nicht verkehrt gehört – Arbeit, und die ist meistens sehr anstrengend. Alles, was man im Laufe der Jahre verlernt hat, muss man sich wieder erarbeiten. Das geht natürlich nur in kleinen Schritten. Auch hat man immer mal wieder mit Rückschlägen zu tun. Aber aufgrund der Übungen weiß man nach einiger Zeit, wie man damit umgehen muss, und die Abstände zwischen den jeweiligen Beschwerden werden immer länger. Dazu wäre das Führen eines Tagebuchs sehr sinnvoll. Alles aufschreiben, positiv wie negativ, dann kann man bei der nächsten Attacke darauf zurückgreifen. Ferner hat es, wenn man es aufschreibt, eine andere Bewertung. Wichtig ist dabei natürlich auch, das Positive auch positiv zu sehen, sich also nicht zu sagen, das ist nichts, das machen andere regelmäßig. Sich selber auch mal höher bewerten – auch das ist der Weg aus der Krise. Also nur Mut, es geht – mit viel Arbeit!“